top of page

Durchsuchung eines Fahrzeuges (Fallbeispiel Frau Keller:

  • Autorenbild: kunzlawfirm
    kunzlawfirm
  • 18. Okt. 2024
  • 4 Min. Lesezeit

Durchsuchung eines Autos, einer Person und Abnahme des Fingerabdrucks bei einer routinemäßigen Kontrolle – Vorstrafen in einem anderen Bereich


Sachverhalt:

Frau Keller wird während einer routinemäßigen Verkehrskontrolle von der Polizei angehalten. Die Polizei fordert die Fahrzeugpapiere und den Führerschein. Während der Kontrolle wirkt Frau Keller auffällig nervös und schaut wiederholt in ihre Handtasche. Daraufhin beschließt die Polizei, das Fahrzeug und die Handtasche zu durchsuchen. In der Handtasche findet die Polizei eine geringe Menge Cannabis. Eine Überprüfung im Polizeicomputer zeigt, dass Frau Keller in der Vergangenheit wegen Wirtschaftsdelikten (Betrug und Urkundenfälschung) vorbestraft ist. Die Polizei nimmt Frau Keller daraufhin mit auf die Wache, wo sie aufgefordert wird, mittels eines elektronischen Lesegeräts ihren Fingerabdruck abzugeben. Frau Keller erhebt nach dem Vorfall Beschwerde und argumentiert, dass ihre früheren Vorstrafen nichts mit dem aktuellen Vorfall zu tun haben und die Maßnahmen der Polizei deshalb unverhältnismäßig gewesen seien.


Rechtsfrage:

War die Durchsuchung des Autos, der Handtasche und die Abnahme des Fingerabdrucks von Frau Keller im Rahmen der routinemäßigen Kontrolle unter Berücksichtigung ihrer früheren Vorstrafen im Bereich von Wirtschaftsdelikten rechtmäßig und verhältnismäßig?


Rechtsgrundlagen und Kommentare:

  1. Verhältnismäßigkeit polizeilicher Maßnahmen bei Verkehrskontrollen: Nach Art. 36 BV müssen staatliche Eingriffe, die Grundrechte einschränken, verhältnismäßig sein. Jede polizeiliche Maßnahme muss einem legitimen Zweck dienen und darf nicht über das hinausgehen, was notwendig ist, um den Zweck zu erreichen. Laut BGE 136 I 87 müssen polizeiliche Maßnahmen in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Verdachts oder der Gefahr stehen. Die Nervosität von Frau Keller allein und der Fund einer geringen Menge Cannabis rechtfertigen möglicherweise die Durchsuchung ihrer Handtasche und des Fahrzeugs, aber es ist fraglich, ob die Vorstrafen im Bereich der Wirtschaftsdelikte hier eine Rolle spielen dürfen.

  2. Relevanz von Vorstrafen aus einem anderen Bereich: Die früheren Verurteilungen von Frau Keller wegen Wirtschaftsdelikten (Betrug und Urkundenfälschung) haben keinen direkten Bezug zu dem jetzigen Vorwurf des Betäubungsmittelbesitzes. BGE 125 I 492 macht klar, dass Vorstrafen nur dann relevant sind, wenn sie im Zusammenhang mit der aktuellen Situation stehen. In diesem Fall liegen die Vorstrafen in einem völlig anderen Bereich, was bedeutet, dass sie keinen direkten Einfluss auf die polizeiliche Bewertung der Situation haben dürften. Die bloße Existenz von Vorstrafen ohne direkten Zusammenhang mit dem aktuellen Verdacht ist nicht ausreichend, um die Schwere der polizeilichen Maßnahmen zu rechtfertigen.

  3. Durchsuchung und Verhältnismäßigkeit: Die Durchsuchung von Frau Kellers Fahrzeug und Handtasche könnte aufgrund ihrer auffälligen Nervosität und des Verdachts auf Besitz illegaler Substanzen verhältnismäßig gewesen sein. Der Fund von Cannabis könnte als ausreichender Grund für die Polizei gelten, die Durchsuchung durchzuführen. Allerdings hätte die Polizei keine weitergehenden Maßnahmen auf der Grundlage der früheren Wirtschaftsdelikte ergreifen dürfen, da diese Vorstrafen keinen Bezug zum Betäubungsmittelbesitz haben. Dies wurde auch in BGE 133 I 106 bestätigt, wo betont wurde, dass Vorstrafen nur berücksichtigt werden dürfen, wenn sie einen unmittelbaren Zusammenhang zur aktuellen Tat haben.

  4. Abnahme des Fingerabdrucks bei nicht zusammenhängenden Vorstrafen: Art. 260 StPO erlaubt die Abnahme von Fingerabdrücken im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen, wenn dies zur Identitätsfeststellung oder im Zusammenhang mit einer Straftat erforderlich ist. Da Frau Keller bereits identifiziert wurde und die Vorstrafen im Bereich der Wirtschaftsdelikte keinen Bezug zum aktuellen Vorwurf haben, ist die Abnahme des Fingerabdrucks fraglich. BGE 141 IV 344 bestätigt, dass solche Maßnahmen nur dann verhältnismäßig sind, wenn sie zur Klärung eines konkreten Verdachts erforderlich sind. In diesem Fall liegt keine Verbindung zwischen den früheren Wirtschaftsdelikten und dem jetzigen Verdacht auf Betäubungsmittelbesitz vor, sodass die Abnahme des Fingerabdrucks unverhältnismäßig erscheinen könnte.

  5. Rechtswidrigkeit der Fingerabdruckabnahme: Angesichts der Tatsache, dass die Vorstrafen von Frau Keller in einem anderen Bereich liegen und keinen Zusammenhang mit dem aktuellen Vorfall haben, ist die Abnahme des Fingerabdrucks wahrscheinlich unverhältnismäßig. Nach BGE 133 I 106 dürfen Fingerabdrücke nur bei schwerwiegenden Verdachtsmomenten oder einer ernsthaften Gefährdung erhoben werden. In diesem Fall ist die geringe Menge an Cannabis in Kombination mit den Wirtschaftsdelikten aus der Vergangenheit kein ausreichender Grund, um diese Maßnahme zu rechtfertigen.


Lösung:

Die Durchsuchung des Fahrzeugs und der Handtasche von Frau Keller war aufgrund ihrer auffälligen Nervosität und des Verdachts auf Betäubungsmittelbesitz verhältnismäßig. Die Abnahme des Fingerabdrucks hingegen war unverhältnismäßig, da die früheren Vorstrafen aus einem völlig anderen Bereich stammen und keinen direkten Bezug zu dem aktuellen Verdacht haben. Die Beschwerde von Frau Keller dürfte daher in Bezug auf die Abnahme des Fingerabdrucks Erfolg haben.


Fazit:

Dieses Fallbeispiel verdeutlicht, dass frühere Vorstrafen nur dann eine Rolle bei der polizeilichen Bewertung spielen dürfen, wenn sie einen direkten Zusammenhang zur aktuellen Verdachtslage aufweisen. Ohne diesen Zusammenhang sind weitergehende Maßnahmen wie die Abnahme von Fingerabdrücken unverhältnismäßig und nicht rechtlich gerechtfertigt. In Fällen wie diesem müssen die Polizei und die Justiz die Prinzipien der Verhältnismäßigkeit und des Schutzes der Grundrechte strikt beachten.

Quellen:

  • BGE 136 I 87: Verhältnismäßigkeit bei polizeilichen Maßnahmen

  • BGE 125 I 492: Anforderungen an den Verdacht für Durchsuchungen

  • BGE 133 I 106: Schutz der Privatsphäre und persönliche Gegenstände

  • BGE 141 IV 344: Verhältnismäßigkeit bei der Abnahme von Fingerabdrücken

  • Art. 36 BV: Verhältnismäßigkeitsprinzip

  • Art. 260 StPO: Abnahme von Fingerabdrücken im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen

Aktuelle Beiträge

Alle ansehen
Fallbeispiel Meier zum Polizeirecht

Unverhältnismäßige Durchsuchung einer Wohnung Sachverhalt: Herr Meier wird beschuldigt, an einer Demonstration teilgenommen zu haben, bei...

 
 
 

Comments

Rated 0 out of 5 stars.
No ratings yet

Add a rating
bottom of page